14.April: Vetart-Kunstforum besucht Hermann Nitsch in Mistelbach

Hermann Nitsch und die Ethik: "Ich liebe die Tiere!"

Am 14.4. besuchte das VETART-Kunstforum erstmals einen weltbekannten, österreichischen Künstler in seinem Hause und lud zu einem gemeinsamen „Tierethik“-Symposion in das Hermann-Nitsch-Museum nach Mistelbach. Zuerst einmal bedanke ich mich bei all den Mitgestaltern und Teilnehmern für die Bereitschaft zur Überprüfung des Nitsch´schen Gesamtwerkes vor Ort. Aus meiner Sicht möchte ich nun die verschiedenen Ebenen meiner Absichten, Wahrnehmung und Kritik beschreiben:

Aus organisatorischer Sicht lag mir sehr viel daran, eine funktionierende Veranstaltung durchzuführen, was bis auf Details auch gut gelungen ist. Der Aufwand war ja doch auch hoch und der Verein sollte sich positiv präsentieren können. Dieses Symposion mit Nitsch entstand aus dem Anspruch des VETART-Kunstforums, nicht nur Ausstellungsorganisator zu sein, sondern auch Leitthemen inhaltlich zu behandeln und damit seinen Mitgliedern neue Motive zur kreativen Umsetzung vorzustellen. Wir haben bei uns inzwischen auch 5 Künstlerinnen, die mit Schüttbildern arbeiten, als deren Pionier ua. Nitsch gilt. Über 50 Teilnehmer beteiligten sich aktiv an den Programminhalten und machten so die Veranstaltung zum Erfolg. Aus der Sicht des Vereines müssen wir lt. Statuten auch einen fachlichen Input zu Themen leisten, mit denen sich gerade wir prioritär auseinandersetzen sollten. Der wissenschaftliche Diskurs des Symposions ist wohl durch den Konterpart Prof. Grimm sehr gut gelungen, was unseren Anspruch auf Verbindung von Wissenschaft und Kunst festigt. Der philosophische Ansatz ist ein adäquater Versuch der Annäherung, die Positionen von Nitsch und der Veterinärmedizin zur Tierethik auf wissenschaftlicher Ebene auszuloten. Damit überwinden wir Grenzen, die seit der Nachkriegszeit bestanden oder bisher ignoriert wurden, wo heute evtl. auch Gemeinsames entdeckt werden kann. Das Thema Tierethik ist gerade jetzt ein hochspannendes, neues Megathema, das uns als Tierärzte noch lange beschäftigen wird (Heimtier- und Intensivtierhaltung, Tierschutz, …), dazu muss sich auch die Standespolitik einen Reim machen, sonst geht die Ethik an uns vorbei. Dieses Thema gerade mit Nitsch und Tierärzten zu diskutieren, war ein Gebot der Stunde, da seine Arbeiten noch immer stark polarisieren und Grenzen überschreiten. Auch andere Maler (Rembrandt, Goya, Kokoschka) stellten Körper dar oder aus (zB. „Körperwelten“) oder arbeiteten im Schlachthaus (DeLaCroix). Ich meine auch, dass es an der Zeit ist, den ethischen Diskurs jetzt zu führen, wo wir Tierärzte nun auch einen eigenen Lehrstuhl dafür haben.

Mit der Verwendung von Tieren, Flüssigkeiten und Organen, dem Schlachtprozess, mit Geburt, Leid und Tod setzen sich auch andere Berufsgruppen auseinander (Bauern, Tierärzte, Schlachthofpersonal,…und auch Künstler!). Was für den Einen Ekel ist, sieht ein Anderer als Faszination. Das Thema "Ekel" und die Arbeit mit biologischen Materialien wurden ausreichend erklärt und diskutiert. Nitsch steht für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Agrikultur. Die Tiere sind bei Nitsch nicht das zentrale Thema, dem es um Sinn und Sein des menschlichen Lebens geht, sondern nur Mittel der Darstellung. „Was ist Kunst?“ ist eine zeitlose Frage, mit der sich vor allem die Künstler selbst beschäftigen und bis heute keine klaren Antworten finden. Genauso ist es mit dem Wert der Werke, der nicht zuletzt von den Käufern bestimmt wird. „Das kann ich auch!“ als Reaktion des Publikums bezieht sich oft nur auf das Endprodukt, nicht aber auf den vorhergehenden Entstehungsprozess. Damit bringt Nitsch wieder Arbeiten entlang der Lebensmittelkette zum Vorschein (Schlachtszenen), die die Gesellschaft bereits verdrängt hat. Sein persönlicher Zugang zum Tierschutz ist eher naiv auf unreflektierter Tierliebe aufgebaut, trotzdem lebt er nicht vegetarisch.

Wenn man Vorurteile oder Unkenntnisse hat, ist es demokratisch und legitim, sich vor Ort einzufinden und sich die Geschichten anzuhören. Erst dann ist man zur Kritik und zum Diskurs fähig, kann argumentieren und ist authentisch. Deshalb weiß ich nicht, ob die Kritiker auch Kritiker ieS. sind oder die Freiheit der Kunst pauschal in Frage stellen, weil sie nicht verstehen (wollen). Das Risiko des Nicht-Verstehens musste hier im Einzelfall von uns in Kauf genommen werden. Andere haben subjektive, persönliche Motive die ganz und gar nicht gelten dürfen. Eines ist aber sicher: Wir begaben uns an den Ort des Geschehens und holten authentische Meinungen ein, um uns danach selbst „ein Bild machen zu können“.

Die Person Nitsch ist heute ein zwar ein alter, gebrechlicher und sehr netter Mann, der einen hohen philosophischen Anspruch stellt und in den letzten fünf Jahrzehnten ein Gesamtkunstwerk geschaffen hat, das weltweit Diskussionen verursacht (einige Details sprechen mich an, ich verstehe sie nun als Tierarzt besser, habe aber nicht immer gleich einen Kontext zur Kunst erkannt, z.B. in Schlachtszenen). Es wäre auch eine Versöhnung mit dem Lebenswerk von Nitsch, wenn der retrospektive Blick darauf eine neue Interpretation seines über 50-jährigen Schaffens (noch zu Lebzeiten) zuließe, da die Zeit heute aufgeklärter ist, als noch vor 50 Jahren. Nitsch ist gleichzeitig Maler, Dramaturg, Schauspieler, Musiker, Philosoph und Ethiker, und wurde zum Professor ernannt, dem die NÖ-Politik unter LH Pröll ein Museum dort gebaut hat, wo früher eine Pflugfabrik („culter“, lat.: der Pflug, à Kultur!) stand. Er hat ein weiteres in Neapel, nun auch in der Türkei und derzeit läuft ein Schwerpunkt im Wiener Theatermuseum. Er betreibt keine „Schönmalerei“ sondern stellt das Tragische, Schuldvolle, Raubtierhafte und Konkrete des Menschen und seiner Opferlogik in das Zentrum seiner Arbeiten. Provokationen und Exzesse waren immer schon ein Thema, damit ist der Wiener Aktionismus begründet worden, seine Fans und die Medien haben Nitsch berühmt (und reich) gemacht! Er stellt in seinem Orgien-Mysterien-Theater für alle fünf Sinne den Prunk antiker Tieropfer, klassische Kunst und tierischen Schlachtszenen mit hoher Dramaturgie durch Menschen dar. Damit prangert er den Konsumationsexzess, die Intensivtierhaltung und die Stellung der Nutztiere an, die seiner Meinung nach auf Gewalt, Schuld und Maßlosigkeit aufbauen. Ob man nur Teile oder das Gesamtwerk akzeptieren kann und will, ist Sache des Einzelnen.

Mir ging es (wie immer pragmatisch) nicht um Urteilen oder Bewerten sondern um Klarheit und sachliche Aufarbeitung des Themas „Tierethik“ mit Nitsch, das Herstellen einer Brücke, wo beidseitig möglich, und den Abbau von Vorurteilen. Dies gelingt am einfachsten über die Kunst, wo man einen Schritt weiter gehen und Grenzen überwinden kann. Das ist und muss der Beitrag von VETART im ureigensten Sinne sein: Zeit und Raum zu schaffen und diesem Diskurs zu widmen! -  Erst dann werden wir in der Kunstwelt wahr- und ernst genommen werden! Der Verein hat dazu nun einen wichtigen ersten Schritt gesetzt, der für die gesamte Tierärzteschaft als einmalig und historisch angesehen werden kann, wo selbst die Tierschützer nachhinken. Die Methoden einzelner Tierschutzorganisationen sind dabei oft extremer als die Verwendung von Tieren im Orgien-Mysterien-Theater. Tierwohl und Tierethik sind neue Fach-Disziplinen, die auch unserem Berufsstand als "Anwalt der Tiere" noch viel Erklärungsbedarf abfordern werden und wo die Kunst einen Beitrag liefern kann.  

Spannend wird es auch, wenn wir im Tiergarten Schönbrunn ausstellen werden. Dabei wird ein Werk gezeigt werden, das ein Portrait eines Orang-Utans (Nonja, die malende Affendame) darstellt. Nonja hat Malereien geschaffen, die von einer Subpopulation der Kunstwelt tatsächlich als „Kunst“ empfunden wurden, obwohl von einem Tier gemacht!

So gesehen war dieses Symposion für alle Teilnehmer eine Horizonterweiterung, um die An- und Einsichten des Gesamtkunstwerkes von Hermann Nitsch kennenzulernen, sich über das Thema „Tierethik“ auszutauschen und darüber zu persönlichen Antworten zu kommen. Mir war bewußt, dass das Nitsch polarisieren wird und ich fühle mich im Nachhinein darin bestärkt, dieses Thema aufgegriffen zu haben. Besonderer Dank für diese Möglichkeit gebührt dem Direktor Herrn Mag. Karrer und der Kuratorin Frau Mag. Kuon für die ausgezeichneten Vorbereitungs- und Umsetzungsarbeiten sowie den Professoren Grimm und Nitsch für ihre interessanten Beiträge! 

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Fotos: Irmgard Falkinger-Reiter, Peter Wagner

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